Ein Wildschwein auf einer Lichtung

Urinprodukte als Lockstoffe im Jägereibedarfshandel

Lockmittel werden vielfach und in diversen Varianten im Internet als Jägereibedarf angeboten. Dabei kann es sich um synthetische Produkte, Naturstoffe (Urin, Sekrete etc.) oder Gemische aus beidem handeln.

Speziell bei Mitteln, welche vollständig oder weitgehend naturbelassene tierische Substanzen wie Urin enthalten, ist allerdings große Vorsicht geboten, da hiervon ein nicht unerhebliches Risiko der Übertragung von Infektionskrankheiten ausgeht – auch solcher, welche auf den Menschen übertragbar sind. Die Einfuhr von Präparaten aus unbehandeltem Urin aus Drittländern in die EU ist darüber hinaus verboten.

Untersuchung von Lockmitteln am Hessischen Landeslabor

Dennoch wurden solche Präparate in den vergangenen Jahren bereits in mehreren Fällen bei stichprobenartigen Einfuhrkontrollen am Flughafen Frankfurt von der Tierärztlichen Grenzkontrollstelle des Landesbetriebes Hessisches Landeslabor (LHL) entdeckt. Darunter beispielsweise 2016 eine Sendung Schweineurin in Flaschen und Spraydosen aus den USA. Die Ware war für einen Händler in Deutschland bestimmt, der Jägereibedarf anbietet. Die Sendung wurde über das Internet bestellt, befand sich in Endverbraucher-Verpackungen und war dazu bestimmt, als Lockstoff für männliche Wildschweine in die Natur ausgebracht zu werden. Beschrieben war die Ware als „100% natural sow urine“. Laut Herstellerangaben auf den Etiketten wurde der Urin von Schweinen nach der Gewinnung lediglich gefiltert und keiner weiteren hygienisierenden Behandlung unterzogen. Auch Zusatzstoffe, Chemikalien und Konservierungsstoffe wurden nicht hinzugefügt.

Die Ware wurde in der Abteilung Veterinärmedizin des LHL einer mikrobiologischen Untersuchung unterzogen. Mittels Polymerase Kettenreaktion (PCR) konnten Gensequenzen des Aujeszky-Virus, dem Erreger einer anzeigepflichtigen Tierseuche beim Schwein, sowie einer als Zoonoseerreger bekannten Bakterienart (Leptospiren) nachgewiesen werden. Da nur genetisches Material nachgewiesen wurde, bleibt in diesem Fall unklar, ob die Erreger noch infektionsfähig gewesen wären.

Infektionsrisiken durch Lockmittel auf Urinbasis – Chronic Wasting Diesease

Diverse weitere Infektionserreger können von infizierten Tieren über den Urin ausgeschieden werden. Besondere Aufmerksamkeit hat seit 2016 hier vor allem die sogenannte Chronische Auszehrungskrankheit (Chronic Wasting Disease, CWD) erregt, welche primär Cerviden (Hirschartige) betrifft. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung, welche analog zu BSE (Bovinen spongiforme Enzephalopathie) durch Prionen, fehlgefaltete Eiweißmoleküle, hervorgerufen wird. Im Verlauf der Erkrankung kommt es zur Zerstörung von Zellen des zentralen Nervensystems durch die Anhäufung von Prionproteinen, welche von den zelleigenen Enzymen nicht mehr abgebaut werden können. Die Schäden an Gehirn und Rückenmark sind Ursache für die Symptome der Krankheit, welche sich durch verändertes Verhalten (Apathie, Verlust der Scheu, teils Aggression) und gestörte Bewegungsabläufe sowie Abmagerung, vermehrtes Speicheln, vermehrte Wasseraufnahme oder vermehrten Urinabsatz äußern können.

Die Erkrankung ist infektiös für verschiedene Wildwiederkäuer und auch eine Infektionsgefahr für den Menschen kann nicht ausgeschlossen werden. Eine Diagnose der Infektion ist bisher nur aus Gewebeproben toter Tiere möglich. Infektionsgefahr geht jedoch neben verschiedenen Geweben (u.a. Zentralnervensystem, innere Organe und Muskulatur) auch von Ausscheidungen (Urin, Kot, Speichel) aus. Die Verwendung von urinhaltigen Lockmittel-Präparaten aus betroffenen Regionen (Nordamerika, Skandinavien) sollte daher vermieden werden, um eine Verschleppung der Krankheit zu verhindern. Die Prionen sind extrem stabil in der Umwelt und können in Ausscheidungen und im Boden über Jahre infektiös bleiben.

Die Erkrankung wurde ursprünglich in Wildwiederkäuer-Populationen auf dem nordamerikanischen Kontinent entdeckt und hat sich in den letzten Jahrzehnten dort kontinuierlich ausgebreitet. Das bisher bekannte Verbreitungsgebiet der Erkrankung auf dem nordamerikanischen Kontinent erstreckt sich über 24 US-amerikanische Bundesstaaten und drei kanadische Provinzen (Stand Ende 2018/Anfang 2019).

Seit 2016 ist die Erkrankung schließlich auch in Europa präsent. Zu diesem Zeitpunkt wurden die ersten europäischen Fälle von CWD bei einem wilden Rentier sowie einem Elch in Norwegen festgestellt. Daraufhin wurden 2017 gezielte Untersuchungen von Wildwiederkäuern beziehungsweise in Gefangenschaft gehaltenen Cerviden in verschiedenen EU- und nicht EU-Ländern initiiert. Insgesamt wurden dabei knapp 30 000 Tiere untersucht. Der weitaus größte Teil in Norwegen, kleinere Tierzahlen auch in Rumänien, Italien, Schweden, Finnland, Spanien, Island, Dänemark und Ungarn und einzelne Tiere in Belgien, Lettland und Großbritannien. Nur in Norwegen wurden CWD-Infektionen nachgewiesen. Insgesamt wurden elf Tiere positiv auf die Erkrankung getestet, davon neun Rentiere, ein Elch und ein Rothirsch.

Basierend auf den erhaltenen Ergebnissen muss befürchtet werden, dass CWD mindestens in Norwegen als Erkrankung bei Wildwiederkäuerspezies etabliert ist. Genauere Kenntnisse darüber und über die potentielle Verbreitung der Erkrankung im Rest des europäischen Kontinents sollen im Laufe der kommenden Jahre gezielte Überwachungsprogramme liefern.

Stand: Februar 2019

Links:

Deutscher Jagdverband Öffnet sich in einem neuen Fenster

(EFSA) Informationen zum CWD-Untersuchungsprogramm der EU 2017Öffnet sich in einem neuen Fenster

(EFSA) Stand der wissenschaftlichen Informationen zu CWD, Dezember 2016Öffnet sich in einem neuen Fenster

(EFSA) Stand der wissenschaftlichen Informationen zu CWD, Update Dezember 2017Öffnet sich in einem neuen Fenster