Igel sind nützliche, besonders geschützte heimische Wildtiere. Sie besuchen als Kulturfolger und Allesfresser auch Gärten und Parks. Bei dieser Lebensweise nahe beim Menschen sind die beliebten Tiere nicht nur durch den Straßenverkehr und Rasenmäher gefährdet, auch Krankheiten setzen ihnen zu.
Über erste vereinzelte Nachweise von Corynebacterium (C.) ulcerans bei Igeln in Deutschland berichteten wir bereits vor zwei Jahren [1, 2]. Als enger Verwandter des Diphtherie-Erregers des Menschen ist dieses Bakterium ein ernstzunehmender Infektionserreger [s. Infokasten]. Unterstützt durch drei Landeslabore wurden nun durch die Wildlife Health Ghent, einer belgischen Forschungsgruppe, regional hohe Fallzahlen nachgewiesen. Unter den Bakterien überwogen dabei die Toxin-tragenden Varianten. Die Ergebnisse belegen erneut eindrücklich, wie wichtig ein ausreichender Impfschutz gegen Diphtherie und die richtige Hygiene bei der Behandlung und Pflege von Igeln sind.
Gezielte Untersuchungen von Igeln aus dem belgischen Flandern durch die Wildlife Health Ghent, einer Forschungsgruppe der Universität Gent, zeigen nun eine regional überraschend große Falldichte und –häufigkeit. In Tierauffangstationen der Region abgegebene Igel wurden im Frühjahr 2020 umfassend bakteriologisch untersucht. Aus dem vielfältigen Bakterienspektrum konnten C. ulcerans vor allem aus entzündeten Hautwunden vieler Tiere isoliert werden. Das Toxinprofil der C. ulcerans-Stämme erwies sich dabei als breit gefächert. Zudem war auffällig, dass nur männliche Tiere betroffen waren. Ein Zusammenhang mit entzündeten Bisswunden nach Revierkämpfen im Frühjahr liegt daher nahe [3].
Dazu Prof. Dr. An Martel (Wildlife Health Ghent), Leiterin der Studie:
„Wir untersuchen in Belgien systematisch Wildtiere auf Krankheiten. An unserer Igel-Studie hat mich die Häufigkeit der positiven Corynebakterien-Nachweise überrascht: In nur zwei Monaten wurden 81 Igel aus Auffangstationen Flanderns untersucht. Über 50 der Igel trugen Corynebacterium ulcerans - in überwiegendem Anteil dabei die Toxin-tragenden Varianten. Beim ungeschützten Umgang mit den stacheligen Igeln sehen wir das Risiko einer ernsten Infektion. Auch Bisse der Tiere sind nicht zu unterschätzen. Dieser Gefahr sollte man sich bei der Behandlung oder Pflege der Tiere bewusst sein. Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, hierzu die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und die Überwachung von Wildtierkrankheiten zu verbessern.“
Auf die Bitte der belgischen Forschenden hin wurden alle Corynebacterium-Isolate aus den Igeln mit einem bewährten Spektrum an weitergehenden Methoden arbeitsteilig an den beteiligten deutschen Landeslaboren weiter charakterisiert und verglichen [vgl. 4]. Für die zuverlässige Identifizierung der Krankheitserreger kamen schon in Belgien moderne Techniken wie die MALDI-TOF Massenspektrometrie Öffnet sich in einem neuen Fensteroder die Analyse speziesspezifischer Gensequenzen zum Einsatz. Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart übernahm zudem die vergleichenden Untersuchungen mittels der Infrarot-SpektroskopieÖffnet sich in einem neuen Fenster. Hiermit wurde die Verschiedenartigkeit der belgischen Isolate schnell klar [3]. Auch ließen sich die Isolate eindeutig von C. diphtheriae und dem kürzlich von unseren Arbeitsgruppen beschriebenen Corynebacterium silvaticum Öffnet sich in einem neuen Fenstersowie den weiteren Vertretern der C.diphtheriae-Gruppe abgrenzen [Infokasten; 5]. Das Konsiliarlabor für Diphtherie am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) führte bei den Igel-Isolaten den wichtigen Nachweis des aktiven Diphtherietoxins durch.
Diese schnelle unkomplizierte und über Ländergrenzen reichende Unterstützung ist bei der Untersuchung von weniger häufigen Erregern besonders hilfreich.
Dazu Dr. Volker Renz, Amtsleiter des CVUA Stuttgart:
„Zoonose-Erreger, also zwischen Wirbeltieren und Menschen übertragbare Krankheitserreger, verdienen unsere besondere Aufmerksamkeit - und das nicht erst seit Corona. Die systematische Untersuchung von Wildtieren auch auf seltenere Bakterien, Viren und Parasiten ist für die Früherkennung auch regional besonders wichtig. Deshalb haben wir am CVUA Stuttgart unsere Erfahrungen in der Erregeridentifizierung gerade in diese Studie gerne eingebracht. Ich kämpfe sehr dafür, dass unsere Ressourcen für die Unterstützung solcher wirksamen und wichtigen Arbeiten auch zukünftig ausreichen.“
Die Ergebnisse hat das Forscherteam der Universität Gent nun zusammengefasst. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Emerging Infectious Diseases“ erschienen und ist frei zugänglichÖffnet sich in einem neuen Fenster.
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Fazit
Igel können auch auf den Menschen übertragbare Krankheitserreger und Parasiten tragen, auch wenn die Tiere gesund erscheinen. Über Igel, die auch toxigene Corynebacterium ulcerans beherbergen können, berichteten wir bereits 2019 [1]. Die aktuelle Studie mit Tieren aus belgischen Tiergesundheitsstationen zeigt nun eindrucksvoll, dass dies regional mit höheren Fallzahlen einhergehen kann [3].
Auch Personen, die nur gelegentlich mit Wildtieren arbeiten (Jäger, Tierärzte, Mitarbeiter von Igelstationen und Tierheimen) sollten sich der Gefahr dieses bisher wenig beachteten Infektionsrisikos bewusst sein und dies im Umgang mit den Tieren berücksichtigen. Schon nach einem kurzen Tierkontakt sind allgemeine Hygienemaßnahmen, wie das gründliche Waschen mit warmem Wasser und Seife und gegebenenfalls auch die Desinfektion der Hände ratsam. Beim Umgang mit Igeln sollten geeignete Handschuhe, die außerdem auch vor den Stacheln oder Bissen schützen, getragen werden. Um den Erreger nicht weiter zu verbreiten, ist bei der Pflege eine gründliche Desinfektion der Behausungen der Igel ebenfalls wichtig. Zum Schutz vor der Diphtherie-Erkrankung ist ein ausreichender, regelmäßig aufgefrischter Impfschutz für alle Personen mit Kontakt zu Wildtieren ratsam [5].
Wir bedanken uns für die offene, unkomplizierte und vertrauensvolle Zusammenarbeit bei allen Beteiligten und deren Mitarbeitenden.
Hinweise für das Fachkollegium
Der Nachweis von potentiell toxigenen Corynebakterien ist in modern ausgestatteten diagnostischen Einrichtungen wie den an der Studie beteiligten Landeslaboren in kurzer Zeit durchgeführt werden.
Bestätigte Isolate von Tieren der Spezies Corynebacterium ulcerans,C. diphtheriae, C. silvaticum, C. rouxii oder C. belfantii können vom isolierenden Labor nach Absprache an das Konsiliarlabor für DiphtherieÖffnet sich in einem neuen Fenster am LGL Bayern, Oberschleißheim eingesandt werden, um durch weiterführende, kostenfreie Untersuchungen das Zoonose-Potential (Nachweis des Diphtherietoxin-Gens und der Toxinproduktion) abschätzen zu können.
Die C. ulcerans-Isolate aus der Studie wurden genutzt, um die bestehende Sammlung individueller MALDI-TOF Massenspektren zu ergänzen. Diese Vergleichsspektren sind für das Fachkollegium über die MALDI-User Plattform MALDI-UPÖffnet sich in einem neuen Fenster per Tausch zugänglich.
Autor(en):
Tobias Eisenberg (LHL); Jörg Rau (CVUAS); Andreas Sing, Anja Berger (LGL); An Martel, Frank Pasmans (Wildlife Health Ghent)
Links:
MALDI-UP, die MALDI User PlattformÖffnet sich in einem neuen Fenster