Waschbaer im Altpapier

Spulwurmbefall (Baylisascaris procyonis) beim Waschbär in Hessen

Bei Waschbären ist Baylisascaris procyonis (Waschbärspulwurm) eine häufig auftretende Spulwurmart. Das Hessische Landeslabor hat zwischen 2014 und 2017 Spulwurmeier in Kot und Darminhaltsproben von Waschbären in Hessen nachgewiesen.

Der Waschbär (Procyon lotor), ursprünglich nur einheimisch in Nordamerika, verbreitete sich in den vergangenen Jahren in Europa, auch in Japan, massiv. Aktuell bildet er in Deutschland die größte Population Zentraleuropas. Diese steigt, wie anhand der Jahresjagdstrecken leicht ersichtlich, nach wie vor rasant an. In den USA und Kanada gilt der Waschbär als Reservoir und Überträger von verschiedenen Krankheitserregern, wie umfangreiche Untersuchungen ergeben haben. Entsprechende Daten zu den Waschbärpopulationen Europas sind demgegenüber nicht oder nur wenig vorhanden.

Besonders die beim Waschbären vorhandenen unmittelbare Nähe zum Menschen (hohe Populationsdichte auch in städtischen Siedlungsräumen) verlangt nach einer Untersuchung auf Waschbär-assoziierte Zoonoseerreger (Erreger, die auf den Menschen übertragbar sind), um die potentiellen Risiken besser einschätzen und bewerten zu können.

Am Landesbetrieb Hessisches Landeslabor werden regelmäßig Wildtiere auf verschiedene Zoonoseerreger untersucht und die Vorkommenshäufigkeiten dieser ermittelt, um das menschliche Infektionsrisiko besser einschätzen zu können. Das untersuchte Erregerspektrum umfasste dabei die verschiedenen bakteriellen, viralen und parasitären Krankheitserreger.

Beim Waschbären kommt dem parasitären Erreger Baylisascaris procyonis, einem Spulwurm, eine besondere Bedeutung als Zoonoseerreger zu. Die durch diesen Erreger hervorgerufene und als Baylisascariose benannte Erkrankung wurde in die WHO-Liste „Zoonoses with current and potentially increasing impact" in Europa aufgenommen. Die vergleichsweise hohe Expositionsgefahr des Menschen wird durch eine hohe Erregerausscheidung infizierter Waschbären, die hochgradige Kontamination der Umgebung an bevorzugten Kotabsatzorten (sogenannten Latrinen) und das Leben von Waschbären auch in menschlichen Siedlungsräumen begründet.

Spulwürmer oder Rundwürmer (Askariden) kommen bei vielen Tierarten (z.B. Toxocara canis des Hundes, Toxocara cati der Katze etc.), jedoch auch beim Menschen (Ascaris lumbricoides) vor. Sie leben im Darm und können eine Länge von bis zu 30-50 cm erreichen. Es werden bis zu 200.000 Eier pro Tag produziert und dann mit dem Kot ausgeschieden. Über den Kotkontakt werden infektiöse Larvenstadien, die sich noch in den Wurmeiern befinden, übertragen. Nimmt ein nicht infiziertes Wirtstier oder der Mensch diese Eier, z. B. über nicht gewaschene Hände, Lebensmittel oder verschmutztes Trinkwasser oral auf, schlüpfen die Larven im Dünndarm ihres Wirtes und wandern anschließend über die Blutgefäße in Leber und Lunge. In einem Prozess, der "Tracheale Wanderung" genannt wird, werden die Larven zunächst hochgehustet und anschließend wieder abgeschluckt. Der Zyklus findet seinen Abschluss, indem die Larven wieder im Darm ankommen und die Entwicklung zu adulten Würmern, die wieder Eier bilden, erfolgt. Ihrem Wirt schaden diese Askariden durch Entzug von Nährstoffen sowie durch die auftretenden Gewebszerstörungen.

Werden die Eier allerdings von einer anderen, nicht an den Parasiten angepassten Tierart (Zwischenwirt, Fehlwirt) aufgenommen, schlüpfen die Larven ebenfalls aus der Eihülle, durchdringen die Darmwand und gelangen in verschiedene Organe und Körpergewebe, wo sie jedoch meist eingekapselt werden. Eine Neuinfektion durch Aufnahme dieser im Gewebe des Zwischenwirts abgekapselten Larven ist ebenso möglich.

Bei Waschbären ist Baylisascaris procyonis (Waschbärspulwurm) eine häufig auftretende Spulwurmart. In den USA konnte sie erstmals auch im Darm von Hunden gefunden werden. Als alternativer Endwirt geht von Hunden somit ebenfalls eine potentielle Gefährdung aus.

Im Darm ausgewachsener Waschbären, die infiziert sind, lassen sich bis zu 200 adulte Spulwürmer nachweisen, wobei das Wirtstier dadurch nicht oder nur unwesentlich in seinem Gesundheitsstatus beeinträchtigt wird. Diese starke Besiedlung des Darms bedingt die Ausscheidung von Millionen Wurmeiern, die in der Umwelt jahrelang überlebensfähig sein können. Während die eigentlichen Wurmeier selbst harmlos sind, entwickeln sich aus den Eiern die Larven, die die eigentliche infektiöse Zwischenform darstellen. Nun kommen die bereits o.g. Zwischenwirte ins Spiel. Als solche fungieren in erster Linie kleinere Tiere wie Nager und Vögel, die im weiteren Verlauf möglicherweise auch als Nahrung für den Waschbär in Frage kommen. Im Darm dieses Zwischenwirts entwickeln sich aus den aufgenommenen Wurmeiern die Larven. Diese durchdringen dann die Darmwand und nisten sich in unterschiedlichen Organen oder Geweben ein. Ist z.B. das Nervensystem betroffen, kann es zu entsprechenden Ausfallerscheinungen wie Lethargie, Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, Koma kommen. Bei besonders starkem Befall führt dies zum Tod des Zwischenwirts. Größere Haustiere und Säugetiere als sogenannte Zwischen- oder Fehlwirte können eine Infektion jedoch auch ohne weitere Folgen überstehen. Schweine, Schafe, Ziegen und Katzen scheinen sogar für den Waschbärspulwurm wenig empfänglich zu sein. Ein nicht infizierter Waschbär infiziert sich durch den Verzehr eines mit Larven befallenen Zwischenwirtes. Auch die direkte Aufnahme von bereits larvenhaltigen Eiern ist möglich. Nur im Waschbär und gelegentlich bei Hunden entwickeln sich ausgewachsene Würmer.

Der Waschbärspulwurm stellt auch für die menschliche Gesundheit eine Bedrohung dar. Wie verschiedene Säugetierarten ist auch der Mensch im Entwicklungszyklus dieses Parasiten ein Zwischen- oder Fehlwirt. Im Falle einer oralen Aufnahme der infektiösen Larvenstadien in den Wurmeiern können diese zunächst in den menschlichen Darm gelangen, später die Darmwand penetrieren und sich in unterschiedlichen Organen oder Geweben einnisten. Durch ihre Wanderbewegungen (Larva migrans) zerstören sie je nach Befallsort entsprechende Gewebsstrukturen. Obwohl das gesamte klinische Spektrum der humanen Baylisascariose nach wie vor nicht bekannt ist, können bisher vier Verlaufsformen unterschieden werden. Neben der am häufigsten anzutreffenden asymptomatischen Infektion können eine Nervenform (neuronale Larva migrans), eine Augenform (okuläre Larva migrans) sowie eine Eingeweideform (viszerale Larva migrans) unterschieden werden.

Die neuronale Larva migrans stellt eindeutig die schwerste Form der Erkrankung dar. Die durch die Larvenwanderung und das kontinuierliche Wachstum ausgelösten Nervengewebszerstörungen rufen eine Hirnhautentzündung (eosinophile Meningoenzephalitis) hervor. In deren Folge kommt es zu neurologischen Ausfallerscheinungen, die im schlimmsten Fall einen Komazustand und den Tod zur Folge haben. In Nordamerika sind bisher 23 dieser Krankheitsfälle beschrieben. Betroffen waren meist Kleinkinder oder Menschen mit Beeinträchtigungen. In den meisten Fällen endete der Krankheitsverlauf letal oder es entwickelte sich eine schwere neurologische Dauererkrankung.

Die okuläre Larva migrans, die gelegentlich auch im Zusammenhang mit der oben beschriebenen neuronalen Verlaufsform auftreten kann, entsteht durch die Larvenwanderung im Bereich der Sehregion des Gehirns bzw. im Auge selbst. Ist das Auge betroffen, entwickelt sich eine einseitige Netzhautentzündung (unilaterale Neuroretinitis). Die Folge ist ein Visusverlust. Dutzende von derartigen Fällen sind in den USA beschrieben. Ein Erkrankungsfall aus Deutschland wurde ebenfalls bekannt.

Bei der viszeralen Erkrankungsform treten durch die Larven-bedingten Entzündungsvorgänge Knötchen (Granulome) in verschiedenen inneren Organen (bes. Leber und Lunge) auf. Die auftretenden klinischen Symptome sind eher unspezifisch.

Nach den Ergebnissen einer Ende der 1990er Jahre bei Personen mit berufsbedingtem Umgang mit Waschbären in Deutschland durchgeführten Fall-Kontrollstudie scheint die asymptomatische Infektion die am häufigsten auftretende Form der humanen Baylisascariose zu sein. Zusätzlich gab es auch Patienten mit klinischen Symptomen, die der viszeralen Erkrankungsform zugeordnet werden konnten.

Bezüglich des Vorkommens des Waschbärspulwurms gibt es weltweit durchgeführte sogenannte Prävalenzstudien:

  • Auf dem nordamerikanischen Kontinent wurden insbesondere im Westen und Nordosten der USA sowie an der Westküste Befallsraten von 68-82% erfasst. Die in Kanada, in der Provinz British Columbia durchgeführte Untersuchung ergab eine Vorkommenshäufigkeit von 61%.
  • In Asien gibt es bisher nur eine Untersuchung aus Japan, die bei freilebenden Waschbären keinen Befall feststellen konnte. Lediglich bei in Gefangenschaft gehaltenen Tieren traten positive Befunde auf.
  • Untersuchungen auf dem europäischen Kontinent liegen aus Polen und Deutschland vor. Während in einer polnischen Studie zur Vorkommenshäufigkeit ein Befall bei freilebenden Waschbären von lediglich 3,3% (Warta Mouth Nationalpark) ermittelt wurde, werden nach den in Deutschland durchgeführten Untersuchungen regional unterschiedliche Daten gemeldet. Demnach gibt es Brandenburg keine Funde des Waschbärspulwurms während eine in den 1990er Jahren durchgeführte hessische Studie eine Befallsrate von über 70% ermittelte. Nach den Ergebnissen zweier in Sachsen-Anhalt durchgeführter Studien liegen die Vorkommenshäufigkeiten im östlichen Harz bei 39% und im Umkreis von Bernburg bei 45%.

Um aktuelle hessische Daten zur Verfügung zu stellen, haben wir die Ergebnisse der parasitologischen Untersuchung (Flotation) von Waschbärkot bzw. –darminhalt der Zeit von Januar 2014 bis August 2017 zusammengestellt. Die Ergebnisse sind in Tabelle 1 ersichtlich. Dabei handelt es sich allerdings nur um Ergebnisse einer mikroskopischen Auswertung nach Flotation. Eine sichere Abgrenzung von Baylisascaris procyonis gegenüber Spulwurmeiern anderer Spezies, allein anhand der Morphologie von Askardeneiern, ist mit letzter Sicherheit allerdings nicht möglich. Dennoch ist beim Nachweis von Spulwurmeiern im Darminhalt von Waschbären mit hoher Wahrscheinlichkeit von Baylisascaris procyonis auszugehen.

Tab. 1: Nachweis von Spulwurmeiern in Kot und Darminhaltsproben von Waschbären in Hessen (2014-2017)

Jahr

Untersuchte Proben*

negativ

positiv

geringgradig

mittelgradig

hochgradig

2014

272

186

86

(31,6%)

18

31

37

2015

145

65

80

(55,2%)

15

32

33

2016 (bis

31.08.16)

108

70

38

(35,2,6%)

7

15

16

2017

239

138

101

(41,9%)

23

49

29

*Kot und Darminhaltsproben (Flotation)

Trotz des rasanten Anstiegs der Waschbärpopulation, auch in Deutschland, und der teils hohen Vorkommenshäufigkeiten und der Erregereigenschaften des Waschbärspulwurms, sind in Deutschland kaum Infektionen beim Menschen bekannt geworden.

Demzufolge muss das Infektionsrisiko als äußerst gering eingeschätzt werden. Vor dem Hintergrund, dass asymptomatische Infektionen die am weitesten verbreitete Form der Baylisascariose darstellen, könnte allerdings eine hohe Dunkelziffer gegeben sein. Zudem verläuft die viszerale Erkrankungsform ebenfalls mit sehr unspezifischer Symptomatik und könnte somit auch falsch gedeutet bzw. fehldiagnostiziert werden. Weiterhin sind in Deutschland nur wenige spezialisierte Labore mit routinemäßig etablierter Baylisascariose-Diagnostik zur Abklärung von fraglichen Erkrankungsfällen beim Menschen vorhanden. Um eine abschließende, aussagekräftige Risikobewertung durchführen zu können, müsste daher zunächst die genaue Prävalenz in der menschlichen Population ermittelt werden.

Um dennoch das sicherlich vorhandene, potentielle Infektionsrisiko zu minimieren, können derzeit verschiedene Präventionsmaßnahmen empfohlen werden:

  • Eine überaus sinnvolle Maßnahme ist das Fernhalten der Waschbären von menschlichen Siedlungsräumen. Damit lässt sich die Kontamination mit Baylisascaris procyonis-Eiern deutlich reduzieren. Dies gelingt meist schon durch das unzugängliche Verschließen von Küchenabfällen und das Anbringen von Metallgittern vor Schornsteinen und Abflussrohren. Im nordhessischen Verbreitungsgebiet wurde so bereits mit Erfolg verfahren.
  • Latrinen können aufgrund der guten Überlebensfähigkeit der Parasiteneier eine langjährige Ansteckungsquelle darstellen. Besonders spielende Kinder sind hierbei gefährdet. Eine Flächendekontamination durch manuelle Entfernung von Latrinen mit anschließender thermischer Desinfektion des Substrats und der Latrinenumgebung wäre daher erforderlich. Sie sollte allerdings ausschließlich einer Fachkraft überlassen werden. Weiterhin könnte das Auslegen von Fraßködern, die gegen die Parasiten wirkende Medikamente (Anthelmintika) enthalten, zur Reduktion der Reinfektion unter Waschbären und damit zur Verringerung der Baylisascaris procyonis-Konzentration in der Umwelt beitragen.

Das vom Hund ausgehende Risiko lässt sich durch eine ohnehin empfohlene regelmäßige Entwurmung minimieren.

Quellen:

  • Helena Eva Anheyer-Behmenburg: Untersuchungen zum Vorkommen von Zoonoseerregern und dem caninen Staupevirus in der Waschbärpopulation Niedersachsens, 2011-2013. – Dissertation, Tierärztliche Hochschule Hannover, 2013
  • Christian Bauer Baylisascariose (Baylisascaris procyonis) - eine seltene parasitäre Zoonose in Europa. Berliner und Münchner Tierärztliche Wochenschrift 124, 465-472, 2011

Stand: Januar 2023