Der Landesbetrieb Hessisches Landeslabor (LHL) trägt in Hessen durch seine Untersuchungen und Sachverständigenäußerungen im Rahmen der amtlichen Lebensmittelüberwachung dazu bei, dass Fleisch und Fleischerzeugnisse den Anforderungen der Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches und damit der allgemeinen Verkehrsauffassung entsprechen. Ziel ist es, die Verbraucherinnen und Verbraucher vor Täuschung und Irreführung durch eine unübliche oder unerwartete Beschaffenheit von Fleisch und Fleischerzeugnissen zu schützen. Dabei kommt der Kennzeichnung der Erzeugnisse eine besondere Bedeutung zu.
Die Leitsätze als „Maß aller Dinge“
Die Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse (Leitsätze) werden in einem Fachausschuss Öffnet sich in einem neuen Fenster der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission erarbeitet, der aus Vertreterinnen und Vertretern aus den Bereichen Verbraucherschaft, Lebensmittelüberwachung, Lebensmittelwirtschaft und Wissenschaft besteht. Die Leitsätze Öffnet sich in einem neuen Fenster beschreiben die sogenannte „allgemeine Verkehrsauffassung“: die Zusammensetzung und Kennzeichnung von Lebensmitteln, die von allen am Verkehr mit Lebensmitteln beteiligten Kreise akzeptiert wird. Damit definieren die Leitsätze, was die Verbraucherinnen und Verbraucher von den dort beschriebenen und bezeichneten Produkten berechtigt erwarten können, auch wenn sie im Regelfall den Inhalt dieser Leitsätze nicht kennen oder die dortigen fachspezifischen Angaben nicht verstehen. Wer sich dennoch dafür interessiert, kann sich auf der Homepage des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft jederzeit darüber informieren Öffnet sich in einem neuen Fenster.
Die Leitsätze sind keine Rechtsnormen, sondern ergänzen lebensmittelrechtliche Vorschriften. Im Bereich der Fleischerzeugnisse sind sie sogar die Hauptinformationsquelle, wenn es um die Zusammensetzung und die Qualität der Erzeugnisse geht (ausgenommen die Verwendung von Lebensmittelzusatzstoffen). So legen die Leitsätze fest, welche Ausgangsmaterialien für welche Fleischerzeugnisse üblicherweise verwendet werden, und definieren Qualitätsmaßstäbe wie z. B. den prozentualen Gehalt an bindegewebseiweiß-freiem Fleischeiweiß als Maß für den Anteil an reinem Muskelfleisch in diversen Wurstwaren oder den prozentualen Gehalt an Fleischeiweiß im fettfreiem Anteil, der bei Kochpökelerzeugnissen Hinweise auf einen Wasserzusatz liefern kann. Grundsätzlich sind die vorgegebenen Werte als Mindestwerte anzusehen, die bei der Herstellung nach redlichem Gewerbebrauch auch eingehalten werden können. Bei Auslobung einer besonderen Qualität – z. B. mit den Angaben „Spitzenqualität“ oder „Delikatess“ - müssen die Mindestwerte schließlich noch übertroffen werden. Die Unterschiede in den festgelegten Mindestwerten mögen für Laien minimal erscheinen. Sie lassen sich aber anhand chemisch-physikalischer Analysen der Hauptinhaltsstoffe Eiweiß, Fett und Bindegewebseiweiß prüfen und eindeutig belegen.
Da die Leitsätze nicht rechtsverbindlich sind, kann bei der Herstellung natürlich auch davon abgewichen werden. Diese Abweichungen müssen aber – auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher – deutlich erkennbar sein, z. B. anhand der (beschreibenden) Bezeichnung der Erzeugnisse. Die Leitsätze gelten zudem nur für deutsche Produkte. Innerhalb der Europäischen Union gilt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung der nationalen Verkehrsauffassungen.
Untersuchungen und Ergebnisse
Rohwurst ist nicht gleich Rohwurst
Im Zeitraum Januar bis April 2023 wurden im LHL 111 Proben Rohwurst, das heißt roh zum Verzehr gelangende Wurstwaren, untersucht. Dabei ist Rohwurst nicht gleich Rohwurst. Die Leitsätze unterscheiden hier zwischen „schnittfesten“ und „streichfähigen“ Erzeugnissen: Zum Zeitpunkt der Herstellung sind alle Rohwürste streichfähig. Erst durch eine mit Austrocknung verbundene Reifung werden Rohwürste schnittfest. Schnittfeste Rohwürste wie z. B. „Salami“ können unangeschnitten auch ohne Kühlung und meist recht lange gelagert werden. Streichfähige Rohwürste wie z. B. „frische Mettwurst“ sind hingegen nicht zur längeren Lagerung bestimmt. Für beide Kategorien kennen die Leitsätze eine Vielzahl an Erzeugnissen, die sich aufgrund ihrer Zusammensetzung und Herstellungsweise in ihrer Qualität unterscheiden und von denen es häufig auch noch regional unterschiedlich benannte Spezialitäten gibt.
Die untersuchten Proben Rohwurst stammten aus dem lokalen Einzelhandel und wurden fertig verpackt (60 %) oder als lose Ware (40 %) zum Verkauf angeboten. 69 der untersuchten 111 Proben (entspricht 62 %) wiesen hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und Kennzeichnung keinerlei Mängel auf. 42 Proben (entspricht 38 %) wurden beanstandet:
In neun Fällen war die Bezeichnung des Lebensmittels aufgrund der von den Leitsätzen abweichenden Beschaffenheit irreführend, so z. B.
- „Teewurst, Spitzenqualität“ für ein Produkt mit einem zu geringen Anteil an bindegewebseiweißfreiem Fleischeiweiß und einem erhöhten Verhältnis von Wasser zu Fleischeiweiß,
- „Wildsalami“ für ein Produkt, welches auch Fleischanteile vom Hausschwein enthielt, oder
- die Angabe „Bauernwurst“, die eigentlich ein Brühwursterzeugnis bezeichnet.
Bei fertig verpackten Erzeugnissen waren z. T. die Angaben zur verwendeten Fleischmenge oder die Nährwertangaben, die beide zu den Pflichtkennzeichnungselementen gehören, zur Irreführung geeignet. Auch Werbeaussagen auf der Verpackung wie
- „ohne Geschmacksverstärker“ bei Verwendung glutamathaltiger Würze oder
- „weniger Natrium“ bei Verwendung von besonderen Salzen
sowie Angaben auf der Homepage von Herstellern wurden als zur Irreführung geeignet eingestuft. Neben diversen kleineren Kennzeichnungsmängeln bei fertig verpackten Produkten war die Kenntlichmachung von Lebensmittelzusatzstoffen bei der losen Abgabe oftmals unvollständig oder fehlte ganz.
„Kasseler“ (auch Kassler) – eine hessische Spezialität aus Kassel?
Im Zeitraum Januar bis April 2023 wurden im LHL 59 Proben Kasseler und ähnliche Erzeugnisse untersucht. Bei „Kasseler“ handelt es sich in der Regel um ein gekochtes und gepökeltes Erzeugnis aus dem Kotelettstrang des Schweines ohne Kamm. Werden dafür andere Fleischteilstücke verwendet, dann ist die Bezeichnung „Kasseler“ entsprechend zu ergänzen, z. B. Nacken-Kasseler bzw. Kasseler Kamm oder Kasseler Bauch. Teilstücke anderer Tierarten (z. B. Hähnchenbrust), die wie ein Kasseler behandelt wurden, tragen hingegen die Angabe „nach Kasseler Art“. Als Qualitätsmaßstab für diese Erzeugnisse gilt der Gehalt an Fleischeiweiß im fettfreien Anteil. Dieser Wert ist bei Halbfabrikaten, also Erzeugnissen, die erkennbar noch weich wie rohes Fleisch und für ein Erhitzen im Haushalt bestimmt sind, niedriger als bei gegarten Erzeugnissen. Ein deutlich zu niedriger Wert deutet hingegen auf den Zusatz von Wasser und damit eine abweichende Qualität hin.
Bei den untersuchten Proben handelte es sich um Kasseler und Rohkasseler zum Selbstkochen (Halbfabrikate), entweder am Stück oder in Scheiben geschnitten, darunter auch als Brotbelag gedachte Aufschnittware. Die Proben stammten aus dem lokalen Einzelhandel und wurden fertig verpackt (61 %) oder als lose Ware (39 %) zum Verkauf angeboten. 41 der untersuchten 59 Proben (entspricht 69 %) wiesen hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und Kennzeichnung keinerlei Mängel auf. 18 Proben (entspricht 31 %) wurden beanstandet:
In nur vier Fällen wurde die Bezeichnung „Kasseler“ aufgrund einer abweichenden Qualität als irreführend bewertet. Bei fünf weiteren Proben handelte es sich um Halbfabrikate oder Rohschinken, bei denen die Bezeichnung „Kasseler“ - ohne Hinweis auf ihren rohen Charakter - ebenfalls als zur Irreführung geeignet eingestuft wurde. Zwei Produkte aus Hähnchenfleisch wurden fälschlicherweise als „Kasseler“ bezeichnet, obwohl die Leitsätze hier etwas Anderes vorgeben. Daneben wurden vor allem bei lose abgegebener Ware mehrere Beanstandungen wegen einer nicht vorhandenen oder für den Verbraucher nicht ohne Weiteres verständlichen Kenntlichmachung von Lebensmittelzusatzstoffen ausgesprochen. Die Nährwertkennzeichnung wies – wo vorhanden – keine Mängel auf.
Übrigens: Der Name „Kasseler“ deutet nicht auf seine nordhessische Herkunft hin, sondern auf seinen Erfinder, den Berliner Fleischermeister Cassel.
Fazit
Der weit überwiegende Teil der zur Untersuchung vorgelegten Produkte entsprach in Zusammensetzung und Qualität den Vorgaben der Leitsätze. Die ausgesprochenen Beanstandungen betrafen im Wesentlichen die Kennzeichnung der Produkte und insbesondere die Kenntlichmachung der verwendeten Lebensmittelzusatzstoffe bei der losen Abgabe. Verbraucherinnen und Verbrauchern, die sich dafür interessieren, was wirklich in den angebotenen Produkten steckt, wird empfohlen an der Fleischtheke gezielt nachzufragen.