Bildausschnitt eines Euters, der an einer Melkanlage hängt

Der Eutergesundheitsdienst in Hessen

Der Eutergesundheitsdienst (EGD) in Hessen ist seit über 35 Jahren fest etabliert und spielt seit jeher eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Eutergesundheit hessischer Milchkühe, Schafe, Ziegen und Stuten.

Ein Rückblick

In den Anfängen vor 1986 bestand dieser Bereich der Tiergesundheitsdienste sogar aus zwei Teilen; der eine Teil war am Veterinäruntersuchungsamt in Gießen, das später in das staatliche Medizinal-, Lebensmittel- und Veterinäruntersuchungsamt Hessen (SUAH) überging, angesiedelt und wurde von Herrn Dr. Klima geleitet; zu diesem Part gehörte das Mastitislabor zur Untersuchung der Viertel- und Hälftengemelksproben. Dieser Teil war für ganz Hessen außer dem Raum Gießen und Hungen zuständig. Zum anderen bestand der EGD aus dem Tiergesundheitsdienst an der Justus-Liebig-Universität Gießen (Institut für Nahrungsmittelkunde und Milchwissenschaft, ehemals unter Leitung von Prof. Kielwein), der den Bereich Gießen und Hungen für einige Jahre abdeckte und betreute. Dieser geographische Teil wurde später vom restlichen EGD am Veterinäruntersuchungsamt in Gießen übernommen. 

Milchprobenröhrchen nach Registrierung im Labor und kulturelles Wachstum von Mastitiserregern nach Inkubation im Brutschrank
Abb. 1 (links): Milchprobenröhrchen nach Registrierung im Labor und Abb. 2 (rechts) : kulturelles Wachstum von Mastitiserregern nach Inkubation im Brutschrank

Zur Harmonisierung der EU-Richtlinie 92/46 und der Durchführung und Umsetzung der Milchverordnung wurden die Hoftierärzte ab 1995 durch fünf hauptamtliche, sogenannte Milchhygienetierärzte unterstützt. Für den Bereich in Nordhessen war Dr. Schäfer zuständig, für Mittelhessen die Tierärzte Dres. Kloppert und Wolter und in Südhessen Postulka und Graff. Ab diesem Zeitpunkt gab es ein erfolgreiches Zusammenspiel des EGD durch die Tätigkeiten der Kolleginnen und Kollegen im Außendienst und deren direkte Beratung vor Ort, wodurch auch die fachgerechte Probenahme sichergestellt wurde. 

Aktuelle Vorgehensweise bei der Untersuchung von Tankmilch oder Viertelsgemelkproben: Nähere Informationen dazu erhalten Sie bei Dr. Karen Schlez: +49 641 4800 5208
Abb. 3: Handlungsablauf nach Mastitisdiagnostik

Die Koordination der Außendienste mit der Labortätigkeit war essentiell zur Status quo-Erhebung und trug durch eine kontinuierliche Verbesserung der Melkhygiene wesentlich zur Optimierung der Eutergesundheit in Hessen bei. Durch die Kombination aus Diagnostik (kulturell-bakteriologische Untersuchung sowie Bestimmung des Gehalts körpereigener Zellen aus Milchproben) und dem individuellen Sanierungskonzept für die jeweiligen Milchvieh-haltenden Betriebe konnten sogar  euterassoziierte, infektiöse Mastitiserreger wie Streptococcus agalactiae, Staphylococcus aureus und Streptokokken der Lancefiedgruppe G (z. B. Streptococcus canis) in ihrer Nachweisrate jeweils stark gesenkt werden (Vorgehensweise nach Handlungsablauf, Abb. 3). 

Staphylococcus aureus aus einer Tankmilchprobe auf Rinderblut-Äskulin-Agar
Abb. 4: Staphylococcus aureus aus einer Tankmilchprobe auf Rinderblut-Äskulin-Agar

Dieses sehr erfolgreiche Konzept wurde auch ab Dezember 2004 fortgesetzt, als der Landesbetrieb Hessisches Landeslabor (LHL) als Nachfolgeorganisation des SUAH gegründet wurde. 

EGD heute

Der heutige Eutergesundheitsdienst in Hessen besteht aus dem Mastitislabor am LHL (Diagnostik und Beratung) und wird ganz wesentlich von den Außendienst- und Beratungstätigkeiten der Milchhygienetierärzte des Regierungspräsidiums Gießen (Dezernat 51.2) sowie den Sachbearbeitern der Leistungsprüfung Milch des Landesbetriebs Landwirtschaft Hessen (LLH) unterstützt. Dieses enge Netzwerk ist entscheidend für den Erfolg des Eutergesundheitsdienstes und die Verbesserung der Milchqualität in Hessen.

Probenarten

Dabei werden ganz unterschiedliche Probenarten im spezialisierten Mastitislabor untersucht. Neben Viertel- und Hälftengemelksproben sind dies Tankmilch- und Milchtupferproben (z. B. Tupfer von Vormelkbechern, Melkzeug oder aus dem automatischen Melksystem) und in seltenen Fällen auch Eutertücher oder Einstreuproben, um die Ursache der Euterinfektion einzugrenzen und zu beheben. Daneben werden auch Milchroben aus Milch-ab-Hof-Abgabe-Betrieben qualitativ und teils quantitativ auf diverse Erreger untersucht, um Lebensmittelinfektionen zu verhindern (z. B. Untersuchung auf Salmonellen oder Listeria monocytogenes). 

Nachweis von Listeria monocytogenes aus Tankmilchprobe (Aloa-Spezialagar)
Abb. 5: Nachweis von Listeria monocytogenes aus Tankmilchprobe (Aloa-Spezialagar)
Bestimmung des Gehalts körpereigener Zellen aus Milchproben mittels Fossomatic
Abb. 6: Bestimmung des Gehalts körpereigener Zellen aus Milchproben mittels Fossomatic

Die Untersuchungen werden generell nach nationalen (Leitlinien zur Untersuchung von Viertel- und Hälftengemelksproben der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft, DVG) und internationalen Standards (z. B. IDF, International Dairy Federation oder Clinical and Laboratory Standards Institute oder (CLSI)-Richtlinien zur Durchführung und Auswertung von Antibiogrammen) durchgeführt. Dabei erfolgt zunächst das Ausstreichen der Milchproben auf Spezialnährmedien, anschließend wird die Bestimmung des körpereigenen Zellgehalts aus den Milchproben mittels Durchflusszytometer Fossomatic durchgeführt (Abb. 6). Die mit Milch beimpften Nährmedien kommen anschließend in den Brutschrank, um das Wachstum der Mastitiserreger nach 24 und 48 h zu erfassen. Zur Erregeridentifikation wird eine massenspektrometrische Analyse mittels MALDI-TOF MS eingesetzt. Damit ist es möglich, die Bakterien binnen kurzer Zeit bis auf Speziesebene zu identifizieren. Eine genaue Erregeridentifikation ist wichtig für die jeweilige Sanierungsstrategie nach Leitkeimdiagnostik sowie als Basis einer gezielten Behandlung.

Antibiogramme

Nach den Leitlinien der Tierärztlichen Hausapothekenverordnung (TÄHAV) hat die Bestimmung eines Erregers und die Erstellung eines Antibiogramms  grundlegend vor Beginn einer Therapie mit bestimmten antimikrobiellen Substanzen zu erfolgen, um die zu dem jeweiligen Bakterium zugrundeliegenden MHK-Grenzwerte (Einteilung in die Resistenzklassen empfindlich, intermediär und resistent) eindeutig zuordnen zu können. Denn der gezielte Einsatz von Antibiotika besonders bei lebensmittelliefernden Tieren ist wichtiger denn je und hilft, Resistenzen zu vermeiden. Auch beim sogenannten selektiven Trockenstellen kann das Mastitislabor den Tierhaltern und den Tierärzten mit der Diagnostik unterstützen und ein wichtiger Ratgeber bei der richtigen Strategie sein.  Die Antibiogramme werden in unserem Labor mit dem sogenannten Mikrobouillondilutionsverfahren nach CLSI-Richtlinien durchgeführt. 

Mikrobouillondilutionstest mit Wachstum von Bakterien zur Antibiotikaempfindlichkeits-prüfung
Abb. 7: Mikrobouillondilutionstest mit Wachstum von Bakterien zur Antibiotikaempfindlichkeitsprüfung

In Abbildung 7 sieht man eine Mikrotiterplatte, in deren Vertiefungen eine vorher definierte Menge einer antimikrobiellen Substanz sowie ein zuvor identifiziertes Bakterium in einer Suspension enthalten sind. Die darin enthaltene Flüssigkeit ist entweder klar, wenn kein bakterielles Wachstum stattfindet (Erreger ist empfindlich) oder man erkennt das Wachstum des zu testenden Bakteriums anhand einer Trübung oder Knopfbildung (Erreger ist resistent). Die Auswertung erfolgt mit Hilfe eines Photometers. 

Leergut

Für die Beprobung stellen wir kostenfrei Leergut (Probenröhrchen mit Konservierungs-Medium) zur Verfügung und bereiten es nach Voranmeldung gerne für Sie vor. Sollte die blaue Flüssigkeit in den Röhrchen eingetrocknet sein, fordern Sie bitte neue Probenröhrchen bei uns an.


 

 

Abb. 8: Probenröhrchen mit Konservierungs-Medium zur Mastitisdiagnostik
Abb. 8: Probenröhrchen mit Konservierungs-Medium zur Mastitisdiagnostik

Kosten

Die Untersuchungskosten werden pro Tier berechnet und setzen sich aus der kulturell-bakteriologischen Untersuchung, der Bestimmung des somatischen Zellgehalts sowie gegebenenfalls der Anfertigung eines oder mehrerer Antibiogramme zusammen. 

Wurde von hessischen Milchviehhaltern beim Vorliegen eines Eutergesundheitsproblems ein Antrag zur Inanspruchnahme des Eutergesundheitsdienstes durch den Hof- oder Milchhygienetierarzt bei der Hessischen Tierseuchenkasse (HTSK) gestellt, dann werden nach Bewilligung durch die HTSK sogar vier Fünftel der Untersuchungskosten übernommen. Ein bewilligter EGD-Antrag ist für jeweils ein Kalenderjahr gültig.

Sollte ein Betrieb vermehrt Probleme mit subklinischen Euterentzündungen haben, so besteht die Möglichkeit, in speziellen Probenröhrchen mit Schraubdeckel die Milch zunächst einzufrieren und zu sammeln. Wenn dann von einigen Tieren Milchproben vorliegen, können diese in einer Einsendung verschickt werden und die Untersuchung beginnt.

Der Milchbefund

Bei der Auswertung des Milchbefunds muss man zunächst darauf achten, welche Leitkeime nachgewiesen wurden. Sind es eher euterassoziierte Mastitiserreger wie Staphylococcus aureus, Streptococcus (S.) agalactiae, S. canis oder sogenannte Umweltkeime (z. B. Streptococcus uberis, Äskulin-positive Streptokokken, Enterokokken, Koagulase-negative Staphylokokken). Besprechen Sie Ihren Milchbefund gerne mit Ihrem Hoftierarzt oder fragen Sie bei uns nach! Durch telefonische Beratungen entstehen Ihnen keine weiteren Kosten.

Bei der Coli-Mastitis, verursacht durch das Bakterium Escherichia coli können Toxine im Spiel sein und es muss, ebenso wie beim Erreger der Holsteinischen Euterseuche (Trueperella pyogenes) besonders schnell gehandelt werden, um das Euterviertel oder gar das gesamte Tier retten zu können. In diesen Fällen erstellen wir auch Vorabbefunde, um Sie schnellstmöglich zu informieren.

Abb. 9: Escherichia coli auf Gassner-Agar
Abb. 9: Escherichia coli auf Gassner-Agar

Nachweisbarkeit verschiedener Mastitiserreger in Hessen

Das Kreisdiagramm zeigt, dass die euterassoziierten Mastitiserreger in Hessen bei der Anzahl aller untersuchten Viertelgemelksproben im Jahr 2022 erfreulicher Weise weit unter 5% lagen und auch heute noch liegen. Über 40% der Proben hatten sogar gar keinen Nachweis von Bakterien. Am häufigsten und somit in jeder fünften Probe wurden Koagulase-negative Staphylokokken nachgewiesen. Besonders diese Nachweise sind in Korrelation mit der ermittelten Zellzahl zu interpretieren und können auch ein Hinweis für die Probenqualität sein. Die am zweithäufigsten nachgewiesene Gruppe der Corynebakterien werden bei gut gereinigten, zuvor desinfizierten und besonders gut vorgemolkenen Eutervierteln in den daraus gewonnenen Viertelgemelksproben deutlich seltener nachgewiesen.

Verteilung der Mastitiserreger in Hessen im Jahr 2022
Abb. 10: Verteilung der Mastitiserreger in Hessen im Jahr 2022 (Angaben in Prozent)

Sonderformen von Euterentzündungen

Die Diagnostik ist auch wichtig für die weitere Entscheidung des Einzeltieres: kann die Kuh behandelt werden und wenn ja, mit welchem Präparat? Nicht immer ist dies möglich wie z. B. beim Nachweis von speziellen Algen aus Milchproben, die zur Gruppe der Prototheken zählen. Haben diese sich im Eutergewebe erst einmal festgesetzt, ist eine Behandlung leider nicht mehr möglich.

Prototheken auf Rinderblut-Äskulin-Agar
Abb. 11: Prototheken auf Rinderblut-Äskulin-Agar

Auch seltenere und nicht über die Routinediagnostik erfassbare bakterielle Erreger aus Milchproben können in unserem Labor nachgewiesen werden (z. B. Mykoplasmen oder Mykobakterien). Hier ist neben der kulturellen Anzucht auch eine Untersuchung mittels molekularbiologischer Verfahren (PCR) möglich.  Des Weiteren erfolgt bei Milchproben aus zellzahlhohen Eutervierteln routinemäßig eine gezielte Untersuchung auf Hefen.

Spezialkultur von Mycobacterium smegmatis, isoliert aus einer Viertelgemelksprobe eines Rindes
Abb. 12: Spezialkultur von Mycobacterium smegmatis, isoliert aus einer Viertelgemelksprobe eines Rindes

Zusammenfassung

Der Eutergesundheitsdienst in Hessen hat eine langjährige Tradition und die Kombination aus Diagnostik und Vor-Ort-Beratung hat sich positiv auf die Eutergesundheit in vielen hessischen Betrieben ausgewirkt. Für die Untersuchung werden modernste Techniken eingesetzt, um Ihnen schnell, zuverlässig und detailliert die erforderlichen Informationen bei Vorliegen von Mastitiden in Ihrem Milchviehbestand zu liefern. Denn die Vielfalt an Mastitiserregern, deren Nachweis entscheidend ist für die richtige und erfolgreiche Bekämpfungsstrategie im Bestand, wird durch einfache Schnelltests meist nicht vollständig abgedeckt. Des Weiteren ist auch zur Reduzierung des Antibiotiaeinsatzes in der Mastitistherapie die kulturell-bakteriologische Anzucht der Bakterien und anschließende Durchführung eines Antibiogramms nach nationalen und internationalen Standards nach TÄHAV-Vorgaben erforderlich und kann durch einen Schnelltest vor Ort nicht erfolgen.

Die Hessische Tierseuchenkasse unterstützt die Mastitisbekämpfung bei genehmigtem Antrag durch Übernahme eines Teils der Laborkosten.

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